Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie

Definition:

Mechanische Arbeit W ist das Produkt aus dem

Weg s, den der Angriffspunkt einer Kraft bei einer Bewegung zurücklegt

*

Kraftkomponente F in Richtung des Weges.

Wenn die Kraft F entlang des Weges s veränderlich ist, gilt (vgl. "Dankert/Dankert: Technische Mechanik", Seite 402):

Definition der mechanischen Arbeit

Formänderungsenergie:

Spannen einer linear-elastischen FederDie Arbeit, die die Belastungen bei der Verformung eines elastischen Systems leisten, ist im verformten System als Formänderungsenergie gespeichert.

Die nebenstehende Skizze zeigt den Spannvorgang einer linear-elastischen Feder, für die das Federgesetz  F = cs gilt (Federdehnung ist proportional zur Kraft, Proportionalitätsfaktor ist die so genannte Federsteifigkeit c). Die äußere Kraft muss entlang des Weges von 0 bis zum Maximalwert Fend anwachsen, für die von dieser Kraft geleisteten Arbeit gilt also:

MechArbFeder02

Weil die Kraft beim Spannen der Feder linear von 0 bis auf ihren Endwert Fend wächst, ist die geleistete Arbeit die Hälfte von der Arbeit, die geleistet würde, wenn die Kraft auf dem gesamten Weg bereits die volle Größe hätte. Diese von der äußeren Kraft geleistete Arbeit ist als Formänderungsenergie Wi in der elastischen Feder gespeichert, die auch mit der inneren Kraft in der Feder Fc = Fend aufgeschrieben werden kann:

Formänderungsenergie, die in einer linear-elastischen Feder gespeichert ist

Analog dazu würde man für elastische Drehfedern, für die das Federgesetz M = cT φ gilt (Verdrehung ist proportional zum angreifenden Moment, Proportionalitätsfaktor ist die Drehfedersteifigkeit cT), folgende Formel für die Formänderungsarbeit erhalten:

Formänderungsenergie, die in einer linear-elastischen Drehfeder gespeichert ist

Entsprechende Formeln lassen sich für alle elastischen Systeme herleiten. Für den geraden Träger, der durch Normalkraft, Biegemoment und Torsionsmoment belastet ist, erhält man z. B. (vgl. "Dankert/Dankert: Technische Mechanik", Seite 405):

Formänderungsarbeit infolge der Normalkraft FN
(w ist die Verschiebung in Längsrichtung, EA die Dehnsteifigkeit):

Formänderungsenergie, die in einem nur durch Normalkräfte belasteten linear-elastischen Träger gespeichert ist

Formänderungsarbeit infolge des Biegemoments Mb
(v ist die Biegeverformung senkrecht zur Längsrichtung, EI die Biegesteifigkeit):

Formänderungsenergie, die in einem nur durch Biegemomente belasteten linear-elastischen Träger gespeichert ist

Formänderungsarbeit infolge des Torsionsmoments Mt
(φ ist der Verdrehwinkel, GIt die Torsionssteifigkeit):

Formänderungsenergie, die in einem nur durch Torsinsmomente belasteten linear-elastischen Träger gespeichert ist

Zu integrieren ist jeweils über die gesamte Länge l des Trägers. Die Formel für die Formänderungsarbeit infolge der Querkraft (siehe z. B. "Dankert/Dankert: Technische Mechanik", Seite 405) wurde hier nicht angegeben, weil der Querkrafteinfluss im Allgemeinen gegenüber dem Einfluss der Biegemomente zu vernachlässigen ist.

Berechnungsverfahren auf der Basis der Formänderungsenergie:

Neben der Lösung der Differenzialgleichungen, die die Verformungen elastischer Systeme beschreiben, bieten sich als Alternative die Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie an, die in der Mehrzahl der Fälle (insbesondere bei praxisrelevanten Aufgaben) effektiver sind, häufig sogar die einzig praktikablen Verfahren darstellen. Folgende Verfahren zählen dazu:

  • Der Arbeitssatz basiert auf der Tatsache, dass die im elastischen System gespeicherte Formänderungsarbeit Wi gleich der Arbeit Wa sein muss, die von den äußeren Kräften entlang des Weges, auf dem sich sich während der Verformung bewegten, geleistet wurde:

Arbeitssatz

    Der Arbeitssatz kann für Kontrollen von Ergebnissen, die auf anderem Wege gewonnen wurden, gelegentlich nützlich sein. Praktische Bedeutung für Berechnung von Verformungen hat er nicht. Ein einfaches Beispiel wird hier gezeigt.

  • Für die Berechnung von Verformungen ausgewählter Punkte eines elastischen Systems ist der Satz von Castigliano ein besonders elegantes Verfahren: "Die Verschiebung vF des Angriffspunktes einer Kraft F ergibt sich aus der partiellen Ableitung der gesamten Formänderungsarbeit, die in einem linear-elastischen System gespeichert, nach dieser Kraft (eine analoge Aussage gilt für Momente und Verdrehwinkel)":

Satz von Castigliano

    Das Verfahren eignet sich auch für Systeme, die aus verschiedenenartigen Bauteilen zusammengesetzt sind, und zur Verifizierung ausgewählter Ergebnisse einer Computerrechnung nach anderen Verfahren. Weil mit dem Verfahren auf sehr anschauliche Weise viele Aussagen zum Verhalten elastischer Systeme demonstriert werden können, findet man eine recht ausführliche Darstellung noch in zahlreichen Lehrbüchern (siehe z. B.: "Dankert/Dankert: Technische Mechanik", Abschnitte 24.3 und 24.4), obwohl die Bedeutung des früher sehr stark verbreiteten Verfahrens für die technischen Praxis heute eher gering ist. Ein einfaches Beispiel wird hier gezeigt.

  • Aus dem Arbeitssatz lässt sich ein Einheitslastverfahren auf der Basis der Arbeitsgleichung herleiten, das die Berechnung der Verformung an ausgewählten Punkten nach folgender Regel zulässt: Man ermittelt die Schnittgrößenverläufe infolge der Belastung des Systems und zusätzlich die Schnittgrößenverläufe unter ausschließlicher Belastung durch eine (dimensionslose) Einheitslast 1 an der Stelle, für die die Verformung berechnet werden soll. Aus beiden Verläufen lässt sich die Verformung durch Integration gewinnen. Die Formel dafür lautet z. B. für Tragwerke, bei denen nur die Verformung infolge der Biegemomente berücksichtigt werden müssen:

Einheitslastverfahren auf der Basis der Arbeitsgleichung (nur Biegemoment-Belastung)

    Das Verfahren ist in der breiten Anwendbarkeit mit dem Verfahren von Castigliano vergleichbar und wurde früher vornehmlich im Bauwesen und vor allem im Stahlbau genutzt. Dabei bediente man sich für die Lösung der Integrale großer Tabellen, in denen die Ergebnisse für alle möglichen Kombinationen der Schnittgrößenverläufe zusammengestellt waren. Heute hat auch dieses Verfahren in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung mehr. Ein einfaches Beispiel wird hier gezeigt.

  • Das Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials ist die Basis für zahlreiche Verfahren unterschiedlicher Aufgabenstellungen (z. B.: Verformungsberechnungen, Stabilitätsprobleme, Eigenschwingungsberechnung). Es bietet mit dem Verfahren von Ritz für einfache Aufgabenstellungen eine schnelle Möglichkeit zur Beschaffung einer Näherungslösung, ist aber vor allem die Basis für die ...
     
  • Methode der finiten Elemente: Dieses Verfahren ist heute das für eigentlich alle Probleme der Ingenieurpraxis (aber auch für die verschiedensten Probleme der Naturwissenschaften) dominierende Verfahren. Es basiert auf der Idee, ein System in eine (große) Anzahl von Elementen zu zerlegen, für deren Verhalten (z. B. für die Verformung unter Belastung) Näherungsansätze definiert werden. Unter Beachtung von Rand- und Übergangsbedingungen werden die Elementlösungen dann zur Lösung für das Gesamtsystem zusammengesetzt. Die Möglichkeit, neben dem hier genannten Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials auch andere mathematische Formulierungen für ein Problem (z. B. die Beschreibung durch Differenzialgleichungen) als Basis für die Methode der finiten Elemente zu verwenden, macht sie zu einem universell anwendbaren Verfahren.
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