Jürgen Dankert: Meine Meinung zum Thema ...

Frieden schaffen ohne Waffen (Brief an eine Freundin, September 2015)

Liebe M., …

… Deine letzte Bemerkung geht mir nicht aus dem Kopf: "Frieden schaffen ohne Waffen ist eine verdammt schwere Aufgabe." Immerhin erinnerst Du Dich noch an diesen Slogan der Friedensbewegung der 80er Jahre, den ich damals schon als durch keine Erfahrung gedeckt empfand. "Nach dem 2. Weltkrieg begann die schöne Hälfte des Jahrhunderts", habe ich mal bemerkt, und das galt für mehr als vier Jahrzehnte, in denen sich in Mitteleuropa zwei feindliche Militärmächte gegenüber standen, so hoch gerüstet (einschließlich Raketen und Atomwaffen) wie niemals Staaten zuvor. Waffen, um den Gegner mehrfach zu vernichten, aber es gab in Mitteleuropa in dieser Zeit keinen Krieg. Sicher ist das "Gleichgewicht des Schreckens" nicht gerade ein gemütlicher Zustand, funktioniert aber hat es.

Vorbei war es, als sich der Ostblock auflöste. Es begann in Jugoslawien. Die Serben hatten den Großteil der Waffen des alten Jugoslawien übernommen und führten gegen alle Gebiete, die sich abspalten wollten, Kriege, am schlimmsten war der Bosnien-Konflikt, der dazu führte, dass die UNO Friedenstruppen entsendete, unbewaffnet ("Frieden schaffen ohne Waffen", die Regierungen hatten gelernt, dass sie keine bewaffneten Truppen schicken durften, wenn sie wiedergewählt werden wollten). Wir konnten es im Fernsehen beobachten, wie die holländischen Blauhelm-Soldaten Spalier standen, als der Völkermord von Srebenica passierte. Ich war damals so wütend, dass ich den Friedensbewegten der 80er Jahre eine Mitschuld dafür zuerkannte, und unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens hat mir damals keiner widersprochen. Beendet wurde die schlimmste Phase erst, als die NATO eingriff (Frieden schaffen mit Waffen).

Und nun haben wir es aktuell in Syrien und Irak (angeblich 230000 Tote bisher in Syrien und 4 Millionen Flüchtlinge, in Srebenica waren es "nur" 6000 Tote). Die schlimmsten Verbrechen konnten wir nicht sehen (Vertreibung der Jesiden, Versklavung der Frauen). Aber als die Stadt Kobane zerstört wurde, konnten ARD und ZDF ihre Kameras auf einem benachbarten Berg in der Türkei aufbauen, und wir wurden Zeugen. Kannst Du das eigentlich ertragen ohne zu fordern, dass die Weltgemeinschaft sofort eingreift. Und zwar konsequent, mit Waffen und auch Bodentruppen. Aber wenn die Amerikaner halbherzig eingreifen, sind irgendwann die Engländer und Franzosen ebenfalls halbherzig dabei. Bundeswehr-Soldaten dagegen bauen in Jenfeld Zelte für Flüchtlinge auf (Zelte müssen sein, aber die Bundeswehr hat ja wohl andere Aufgaben). Gerade kommt die Nachricht im Fernsehen, dass die Taliban Kundus, wo die Bundeswehr bis vor zwei Jahren noch war, erobert hat.

Frieden ERHALTEN ohne Waffen ist eine Illusion für eine ganz ferne Zukunft, Frieden SCHAFFEN ohne Waffen (wenn also irgendwo bereits ein Krieg stattfindet) wird niemals funktionieren. Und "Waffenbesitz gleich Kriegsgefahr" stimmt viel weniger als "Keine oder zu wenig Waffen gleich Kriegsgefahr" (Polen 1945, Bosnien 1992, Kuwait 1990, Jesiden 2013, Kurden 2014, ...). Wer Frieden will, sollte sich gut rüsten. Wenn wir über die Schuldigen der Situation in Syrien diskutieren würden, hätten wir beide sicher stark unterschiedliche Meinungen, aber diese Diskussion wäre in der gegenwärtigen Situation geradezu zynisch. Es muss sofort etwas geschehen, und zwar militärisch.

Gern wird die Meinung vertreten, dass militärisches Eingreifen nie etwas gebracht hat, was einfach falsch ist, in Jugoslawien zum Beispiel hat es zumindest den Völkermord beendet (und die Verantwortlichen vor das Tribunal in Den Haag gebracht). Vorher schon hatte man militärisch Saddam Husseins Truppen aus Kuwait vertrieben, aber das beste Beispiel dürfen wir nicht vergessen: Als in Mitteleuropa die Nazis die Welt mit Krieg überzogen, war es zum Schluss eine Koalition fast aller wichtigen Länder dieser Welt, die diesen Spuk beendeten (und zwar konsequent bis zur bedingungslosen Kapitulation). Und es dauerte 4 Jahre, bis man Deutschland überhaupt erst gestattete, eine eigene Regierung zu bilden, und dann blieben die Sieger vorsichtshalber noch vier Jahrzehnte als Besatzungsmächte. Was wäre wohl in Deutschland passiert, wenn die sich Anfang der 50er Jahre zurückgezogen hätten? Nur mal kurz eingreifen (wie in Afghanistan und Irak) und dann schnell wieder raus, das hätte auch in Deutschland nach 1945 nicht funktioniert.

In Afghanistan hat der militärische Einsatz das Land durchaus positiv verändert, aber das ist eine unvollendete und inkonsequente Aktion geblieben. Obama ließ sich feiern, als er die Einsätze in Afghanistan und Irak beendete. Genau das aber war der Beginn des nun entstandenen Übels. Die gegenwärtige Situation darf ich gar nicht hochrechnen: Möglicherweise finden sich plötzlich die USA und Russland an der Seite Assads, dann kann man sogar froh sein, wenn sich Deutschland nicht beteiligt.

M., ich schreibe Dir das alles nicht in der Hoffnung, Dich von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Ich weiß aus Diskussionen, dass sich über Jahrzehnte verfestigte Ideologien nicht durch ein paar Tatsachen und daraus zu ziehende Schlussfolgerungen erschüttern lassen. Ich wollte mir nur den Frust von der Seele schreiben, als plötzlich wieder "Frieden schaffen ohne Waffen" auftauchte. Vielleicht hältst Du es auch mit Margot Käßmann ("Mit den Taliban beten..."), ich bin Realist und meine: Wer gegenwärtig Frieden will, muss gut bewaffnet sein, und wer irgendwo Frieden SCHAFFEN will, muss sogar extrem gut bewaffnet und sehr mutig sein (auch um sich gegen die Meinungen der Pazifisten und anderer "Friedensbewegten" durchzusetzen). Ich gebe nach wie vor denen, die mit Friedensparolen den militärischen Einsatz dort ablehnen, wo nur auf diese Weise Ungeheuerlichkeiten verhindert werden können, eine nicht unerhebliche Mitschuld.

"Stell‘ dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin", war auch eine dieser ebenso griffigen wie unsinnigen Parolen aus den 80er Jahren. Heute verbreiten sich solche Sprüche über Facebook natürlich besonders schnell. Gerade registriere ich: "Unter Bombenteppichen wächst kein Frieden" und "Bombing for peace is like fucking for virginity". Ja, geht’s eigentlich noch primitiver?

Ich schaffe das einfach nicht, mir die Greueltaten im Fernsehen anzusehen und mich mit Stichworten wie "Waffenexport", "Nutznießer", "Raubbau", "Hat nie etwas gebracht" usw. zu beruhigen. Kannst Du mir erklären, wie man das aushalten kann, wenn man sich der christlichen Ethik verpflichtet fühlt?

Nichts für ungut! Herzliche Grüße,
Jürgen